test
Ken Loachs „Family Life“ handelt nicht nur von einer schizophrenen jungen Frau, der Film selbst ist schizophren. Grandios inszeniert zerreißt es den Film zwischen dem naturalistischen Genie seines Regisseurs und dem Diktat eines politisch motivierten Drehbuchs.
Viele Szenen sind an psychologischer Tiefe und Vielschichtigkeit kaum zu überbieten – in den Beratungsgesprächen zwischen dem Therapeuten und der Familie etwa entstehen aus der Freiheit und Spielfreude, die Loach seinen Darstellern lässt, extrem glaubwürdige Szenen. Doch leider zerstört das Drehbuch mit seiner politischen Zielsetzung alle innerszenische Schönheit wieder. Für Offenheit, Ambivalenz und Komplexität lässt es keinen Raum. Gut und Böse müssen am Ende eindeutig verteilt werden. Auf das Ganze betrachtet, interessiert sich der Film nicht für das individuelle Schicksal seiner Figur. Sie ist für den Autoren ein typischer Fall, ein Platzhalter der Dramaturgie. Der gute Gesprächstherapeut verliert seinen Job und die Gerätemediziner mit ihren Elektroschocks zerstören die zarten Erfolge einer fortschrittlichen Therapie, die nach den sozialen Ursachen der Krankheit fragt. Das Mädchen wird nach einem Ausbruchsversuch eingefangen und unter Zwang in eine geschlossene Anstalt eingewiesen. Das letzte Bild zeigt uns einen gebrochenen, willenlosen Menschen, der zwar seinen Eltern keine Schwierigkeiten mehr bereiten wird, der aber alles verloren hat, was wir als seine Würde ansehen.
Das Problem des Films ist nicht die Glaubwürdigkeit der Geschichte - so etwas könnte sich zugetragen haben -, es ist das schale Gefühl, einzig deshalb auf diese emotionale Butterfahrt geschickt worden zu sein, um eine Botschaft zu kaufen: Psychosen sind das Produkt repressiver Familienstrukturen und einer technokratischen Psychiatrie.
Hinter dem Naturalismus des Spiels versteckt sich vor allem diese These. Ich als Zuschauer spüre die politische Dramaturgie und fühle mich betrogen. Gerade Loachs Naturalismus verstärkt dieses Gefühl noch. Wäre der Film offen didaktisch wie ein Brechtsches Drama oder würde er wie Bresson in „L’Argent“ seine dramaturgische Kausalkette nicht verstecken, hätte ich dieses Gefühl nicht. „L’Argent“ ist sicher nicht Bressons bester Film. Die soziale Mechanik, mit der hier das kapitalistische System einen Mensch erst in die Armut und dann schrittweise von der Kleinkriminalität zum Mord treibt, ist mir zu einfach. Aber der Film versteckt seine monokausale Argumentationskette nicht hinter einer quasi dokumentarischen Fassade und täuscht mich nie über seine Absichten. Die Form ist eben auch politisch. Sie verrät viel über die Haltung des Filmemachers gegenüber Figuren und Zuschauern.
Bei Loach bin ich viel mehr mit der Frage nach der „Wahrscheinlichkeit“, nach dem Realitätsgehalt des Dargestellten beschäftigt als mit der Frage, wie psychische Krankheiten mit sozialen Verhältnissen zusammen hängen und was wir tun können, um sie zu ändern. Damit ist der Film nicht nur künstlerisch sondern auch politisch gescheitert. Traurig zu sehen, wie der grandiose Schauspielregisseur Loach die Komplexität der Welt immer wieder einem politischen Programm opfert. Es sind die eigenen moralischen Ansprüche, die ihn in diese Falle treiben. Das Schlussbild dieses Films soll die Zustände des Systems anprangern, es prangert aber vor allem den Film selbst an: die Hauptfigur ist nicht Opfer der Psychiatrie, sie ist Opfer der Instrumentalisierung durch den Film.
In meinen Augen schadet diesem Film die Vermischung politischer und künstlerischer Motive sehr, sie schadet ihm künstlerisch und politisch. Das traurigste Konzert meines Lebens war ein Auftritt von Stefan Remmler im Cafe „schöne Aussichten“ in Hamburgs „Planten und Blomen“. 15 Jahre nachdem er mit Trio und „Dadada“ den deutschen Schlager revolutioniert hatte, singt er „Mein Freund ist Neger“ vor ein paar älteren Damen.
Alles ist politisch. Das stimmt vielleicht. Aber die Unterscheidung zwischen künstlerischer und politischer Praxis ist sinnvoll. Politik gestaltet das Zusammenleben der Menschen. Politisches Handeln will die Gesellschaft verändern oder vor Veränderungen bewahren. Kunst hat keine allgemeingültig definierbare gesellschaftliche Funktion. Jeder Künstler muss die Frage für sich selbst beantworten können.
Politisches Handeln ist funktional. Ich verteile Handzettel, damit Menschen Müll trennen oder ich schmeiße Bomben, um die Machtverhältnisse umzuwerfen. Instrumente politischen Handelns haben keinen Wert an sich, sie haben ihren Wert in Hinblick auf ihr Ziel. Ich kann Menschen mit Argumenten oder mit Faustschlägen davon überzeugen, den Joghurtbecher in die gelbe Tonne zu werfen. Beides sind politische Instrumente.
Viele Szenen sind an psychologischer Tiefe und Vielschichtigkeit kaum zu überbieten – in den Beratungsgesprächen zwischen dem Therapeuten und der Familie etwa entstehen aus der Freiheit und Spielfreude, die Loach seinen Darstellern lässt, extrem glaubwürdige Szenen. Doch leider zerstört das Drehbuch mit seiner politischen Zielsetzung alle innerszenische Schönheit wieder. Für Offenheit, Ambivalenz und Komplexität lässt es keinen Raum. Gut und Böse müssen am Ende eindeutig verteilt werden. Auf das Ganze betrachtet, interessiert sich der Film nicht für das individuelle Schicksal seiner Figur. Sie ist für den Autoren ein typischer Fall, ein Platzhalter der Dramaturgie. Der gute Gesprächstherapeut verliert seinen Job und die Gerätemediziner mit ihren Elektroschocks zerstören die zarten Erfolge einer fortschrittlichen Therapie, die nach den sozialen Ursachen der Krankheit fragt. Das Mädchen wird nach einem Ausbruchsversuch eingefangen und unter Zwang in eine geschlossene Anstalt eingewiesen. Das letzte Bild zeigt uns einen gebrochenen, willenlosen Menschen, der zwar seinen Eltern keine Schwierigkeiten mehr bereiten wird, der aber alles verloren hat, was wir als seine Würde ansehen.
Das Problem des Films ist nicht die Glaubwürdigkeit der Geschichte - so etwas könnte sich zugetragen haben -, es ist das schale Gefühl, einzig deshalb auf diese emotionale Butterfahrt geschickt worden zu sein, um eine Botschaft zu kaufen: Psychosen sind das Produkt repressiver Familienstrukturen und einer technokratischen Psychiatrie.
Hinter dem Naturalismus des Spiels versteckt sich vor allem diese These. Ich als Zuschauer spüre die politische Dramaturgie und fühle mich betrogen. Gerade Loachs Naturalismus verstärkt dieses Gefühl noch. Wäre der Film offen didaktisch wie ein Brechtsches Drama oder würde er wie Bresson in „L’Argent“ seine dramaturgische Kausalkette nicht verstecken, hätte ich dieses Gefühl nicht. „L’Argent“ ist sicher nicht Bressons bester Film. Die soziale Mechanik, mit der hier das kapitalistische System einen Mensch erst in die Armut und dann schrittweise von der Kleinkriminalität zum Mord treibt, ist mir zu einfach. Aber der Film versteckt seine monokausale Argumentationskette nicht hinter einer quasi dokumentarischen Fassade und täuscht mich nie über seine Absichten. Die Form ist eben auch politisch. Sie verrät viel über die Haltung des Filmemachers gegenüber Figuren und Zuschauern.
Bei Loach bin ich viel mehr mit der Frage nach der „Wahrscheinlichkeit“, nach dem Realitätsgehalt des Dargestellten beschäftigt als mit der Frage, wie psychische Krankheiten mit sozialen Verhältnissen zusammen hängen und was wir tun können, um sie zu ändern. Damit ist der Film nicht nur künstlerisch sondern auch politisch gescheitert. Traurig zu sehen, wie der grandiose Schauspielregisseur Loach die Komplexität der Welt immer wieder einem politischen Programm opfert. Es sind die eigenen moralischen Ansprüche, die ihn in diese Falle treiben. Das Schlussbild dieses Films soll die Zustände des Systems anprangern, es prangert aber vor allem den Film selbst an: die Hauptfigur ist nicht Opfer der Psychiatrie, sie ist Opfer der Instrumentalisierung durch den Film.
In meinen Augen schadet diesem Film die Vermischung politischer und künstlerischer Motive sehr, sie schadet ihm künstlerisch und politisch. Das traurigste Konzert meines Lebens war ein Auftritt von Stefan Remmler im Cafe „schöne Aussichten“ in Hamburgs „Planten und Blomen“. 15 Jahre nachdem er mit Trio und „Dadada“ den deutschen Schlager revolutioniert hatte, singt er „Mein Freund ist Neger“ vor ein paar älteren Damen.
Alles ist politisch. Das stimmt vielleicht. Aber die Unterscheidung zwischen künstlerischer und politischer Praxis ist sinnvoll. Politik gestaltet das Zusammenleben der Menschen. Politisches Handeln will die Gesellschaft verändern oder vor Veränderungen bewahren. Kunst hat keine allgemeingültig definierbare gesellschaftliche Funktion. Jeder Künstler muss die Frage für sich selbst beantworten können.
Politisches Handeln ist funktional. Ich verteile Handzettel, damit Menschen Müll trennen oder ich schmeiße Bomben, um die Machtverhältnisse umzuwerfen. Instrumente politischen Handelns haben keinen Wert an sich, sie haben ihren Wert in Hinblick auf ihr Ziel. Ich kann Menschen mit Argumenten oder mit Faustschlägen davon überzeugen, den Joghurtbecher in die gelbe Tonne zu werfen. Beides sind politische Instrumente.